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RA Patricia Helm Verkehrsrecht Ordnungswidrigkeiten

Hinterlassen eines Zettels an der Windschutzscheibe ist Fahrerflucht

Ein KfZ-Unfall kostet regelmäßig auch Zeit und Nerven. Umso naheliegender der Gedanke, diesen zeitlichen und nervlichen Aufwand vor allem bei kleineren Schäden zu minimieren – unnötiges Warten soll vermieden werden, indem man einen Zettel mit den Kontaktdaten an der Windschutzscheibe des beschädigten Fahrzeugs hinterlässt. Doch dies kann eine Geld- oder Freiheitsstrafe kosten – denn das bloße Hinterlassen eines Zettels an der Windschutzscheibe ist Fahrerflucht. Gesetzlich verankert ist die Fahrer- oder Unfallflucht im Tatbestand des „unerlaubten Entfernens vom Unfallort“, § 142 StGB. Im Gesetzestext heißt es hierzu:

„Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er 

  1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder
  2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich 

  1. nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2) oder
  2. berechtigt oder entschuldigt

vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.

                        […]“

Aus dem Gesetz ergibt sich: Es besteht regelmäßig die Pflicht, am Unfallort zu bleiben, bis eine Feststellung der unfallrelevanten Daten durch den Geschädigten oder die zuständige Behörde, regelmäßig die Polizei, erfolgt ist. Einzig in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen ist ein Entfernen zulässig. Doch auch bei Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes bestimmt das Gesetz, dass die Feststellungen unverzüglich nachträglich zu ermöglichen sind. Die Ausgestaltung der Ausnahmetatbestände soll im Folgenden kurz skizziert werden.

Angemessene Wartezeit

§ 142 Abs. 2 StGB spricht von einer angemessenen Wartezeit. Einen festen Wert gibt es hierbei nicht. Vielmehr richtet sich die Beurteilung, wann die Wartezeit als „angemessen“ anzusehen ist, nach den Umständen des Einzelfalles. So sind etwa die Art und Schwere des Schadens, die Tageszeit, die Verkehrsdichte und die Witterung Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Dies liegt auch darin begründet, dass § 142 StGB der Beweissicherung dient. Zweck der Norm ist die Vorbereitung zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche des Geschädigten. Hierfür ist die Feststellung der für die Verfolgung und Durchsetzung der Ansprüche relevanten Daten erforderlich. Je höher der Schaden, desto höher auch der zivilrechtliche Anspruch und damit das Rechtsverfolgungsinteresse des Geschädigten. Mithin sind bei einem beträchtlichen Schaden höhere Anforderungen an die Wartepflicht zu stellen als bei einem Bagatellschaden. So können bei geringen Schäden nach der Rechtsprechung 30 Minuten Wartezeit ausreichend sein.

Berechtigtes oder entschuldigtes Entfernen

Ein berechtigtes oder entschuldigtes Entfernen vom Unfallort ist nur in bestimmten Sonderfällen anzunehmen. So fordert das berechtigte Entfernen vom Unfallort regelmäßig das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. Ein solcher ist etwa bei einer rechtfertigenden Pflichtenkollision gegeben, wenn das auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen geltende Halteverbot ein Verlassen des Bereiches gebietet. Ebenso handelt berechtigt, wer den Unfallort verlässt, weil zwingend eine ärztliche Versorgung notwendig ist oder mit dem Unfallgegner vereinbart wurde, die Regulierung anderorts, beispielsweise an einer Raststätte, zu betreiben. Entschuldigt kann das Entfernen beispielsweise dann sein, wenn erst eigene (kleinere) Verletzungen zu versorgen und in einer kalten Winternacht bei starker Nässe schwere gesundheitliche Schäden zu besorgen sind. Insgesamt zeigt sich, dass die Anforderungen, die an ein berechtigtes oder entschuldigtes Entfernen vom Unfallort gestellt werden, vergleichsweise hoch sind.

Unverzügliches nachträgliches Ermöglichen der Feststellungen

Doch selbst wenn eine der skizzierten Ausnahmen greift, so ist – auch nach Ablauf der Wartefrist – ein unverzügliches nachträgliches Ermöglichen der Feststellungen zu gewährleisten. Das bedeutet, dass ohne schuldhaftes Zögern die Schadensmeldung bei der Polizei oder dem Geschädigten zu erfolgen hat. So handelt etwa nicht unverzüglich, wer erst später die Polizei informiert, obgleich es ihm sofort möglich und zumutbar war. In zeitlich angemessenem Rahmen wird ein Zuwarten mit der Schadensmeldung jedoch dann gebilligt, wenn der Meldepflichtige beispielsweise zunächst einen Arzt aufsucht oder aufgrund eines erlittenen Schocks nicht sogleich zur Schadensmeldung fähig war.

Es wird deutlich, dass das Hinterlassen eines Zettels an der Windschutzscheibe sich nicht in Einklang mit dem bringen lässt, was § 142 StGB fordert. Ruft man sich abermals den Zweck der Vorschrift – Feststellung von Daten zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche – vor Augen, so lässt sich nachvollziehen, weshalb der Zettel gerade nicht ausreicht und eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort begründet: Ein Zettel kann wegfliegen, vom Regen unbrauchbar gemacht, von Fremden entfernt werden. Es bliebe mithin zufälligen Gegebenheiten überlassen, ob die zivilrechtliche Schadensregulierung vereitelt oder ermöglicht wird. Die gesetzliche Regelung verhindert das, indem sie dieses risikobehaftete Handeln unter Strafe stellt.

Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe

Das Gesetz sieht für das unerlaubte Entfernen vom Unfallort eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Nach den Umständen des Einzelfalles kann auch die Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kommen. Eine Strafmilderung sieht § 142 Abs. 4 StGB für Fälle der sogenannten „Tätigen Reue“ vor: Eine Milderung oder sogar ein Absehen von der Strafe kommt unter den folgenden Voraussetzungen in Betracht:

  1. Der Unfall muss sich außerhalb des fließenden Verkehrs ereignet haben.
  2. Es darf sich bei dem eingetretenen Schaden allenfalls um einen nicht bedeutenden Sachschaden handeln.
  3. Die Feststellungen müssen freiwillig nachträglich und innerhalb von 24 Stunden erfolgt sein.

Obgleich das Gesetz im Einzelfall ein Absehen von der Strafe ermöglicht, sollte auch bei Vorliegen der vorgenannten Punkte die Wartezeit eingehalten und die Schadensmeldung unverzüglich getätigt werden. Denn nach dem Gesetz kann von der Strafe abgesehen werden – eine Verpflichtung hierzu besteht nicht. Was bleibt, ist in jedem Fall die Verwirklichung eines Straftatbestandes – das Hinterlassen eines Zettels an der Windschutzscheibe ist und bleibt Fahrerflucht.

 In verkehrsrechtlichen Angelegenheiten berät und vertritt Sie Rechtsanwältin Patricia Helm.