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RA Patricia Helm Verkehrsrecht

Überholunfall nach abgebrochenem Spurwechsel auf der Autobahn – Haftungsquote

Zu Beginn des Jahres hatte sich das Landgericht Leipzig mit einem Überholunfall zu befassen. Obgleich jeder Unfall einzelfallabhängig zu beurteilen ist, lassen sich dem Urteil für das Verkehrsunfallrecht typische Allgemeingrundsätze entnehmen.

So findet gemäß § 17 StVG bei einem Verkehrsunfall regelmäßig eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Unfallbeteiligten statt. Zentrale Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang das Beweisrecht. Zumeist weichen die Schilderungen des Unfallhergangs der gegnerischen Parteien voneinander ab. Insbesondere die Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten vermag hier, die Angaben zu stützen oder aber zu widerlegen. Dies hat erheblichen Einfluss auf die Beurteilung der Verursachungsquote. 

Der Fall des LG Leipzig war wie folgt gestaltet:

Der Kläger befuhr mit seinem PKW die Autobahn auf dem linken von drei Fahrstreifen. Hinter ihm fuhren, ebenfalls auf der linken Spur, ein grünes Auto und sodann das Fahrzeug des Beklagten. Nach der Aussage des Klägers fühlte sich dieser von dem grünen Fahrzeug durch dichtes Auffahren bedrängt. Er habe daher zum Spurwechsel angesetzt. Noch während des Spurwechsels habe er bemerkt, dass auch das grüne Auto einen Spurwechsel eingeleitet habe, um ihn (den Kläger) auf der mittleren Spur zu überholen. Deshalb habe er sein KfZ wieder auf die linke Spur zurückgezogen. Dabei kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten, der sich nach wie vor auf der linken Spur befand. Der Beklagte gibt an, er habe auf 150 km/h beschleunigt, da er den Wagen des Klägers und das grüne Auto links überholen wollte. Der Kläger behauptet, er sei zwar bis an den äußersten rechten Rand des linken Fahrstreifens gefahren, hätte diesen jedoch nicht verlassen. Der Beklagte sei demnach auf ihn aufgefahren.

Nach den Feststellungen des LG Leipzig fuhr der Kläger jedenfalls bereits zum Teil auf der mittleren Spur. Dies konnte ein Sachverständiger auch aufgrund der Unfallspuren an den Fahrzeugen feststellen. Hierzu aus dem Urteil:

Damit liegt auf Seiten des Klägers ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVOvor. Dieser schreibt vor, dass ein Fahrstreifenwechsel nur dann erfolgen darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Es ist stets, auch bei einem lediglich teilweisen Spurwechsel, äußerste Sorgfalt zu wahren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen fuhren die Fahrzeuge beim Erstkontakt nebeneinander. Folglich ist davon auszugehen, dass der Kläger den neben ihm fahrenden Beklagten wohl erst im Zeitpunkt der Kollision bemerkte. Dies begründet einen Verstoß gegen die genannte Norm. Dem Kläger wurde daher ein Verursachungs- und Verschuldensbeitrag von 60 % angelastet.

„[Es] steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Erstkontakt zwischen dem vorderen rechten Kotflügel, Stoßfänger und Vorderrad des Fahrzeugs des Beklagten […] und dem vorderen linken Kotflügel, Stoßfänger und Vorderrad des klägerischen PKW […] erfolgte. […] Damit ist auch die Behauptung des Klägers wiederlegt, es habe sich bei der Kollision um einen Auffahrunfall gehandelt. Denn bei der sich aus den Kollisionsbeschädigungen vom Sachverständigen ermittelten Erstkontaktierung müssen die Fahrzeuge nebeneinander gefahren sein und der Beklagte […] das schnellere Fahrzeug gelenkt haben.“

Der Beklagte wollte nach seinen Angaben zum Unfallzeitpunkt den Kläger links überholen und hatte daher auf 150 km/h beschleunigt; mithin fuhr er 20 km/h über der Richtgeschwindigkeit. Im Ergebnis der Beweisaufnahme konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob der Kläger möglicherweise bereits vollständig auf die mittlere Spur gewechselt hatte – zu seinen Lasten konnte daher nur das jedenfalls teilweise Befahren einbezogen werden. Keine der Parteien konnte eine Aussage darüber treffen, ob das grüne Fahrzeug den Kläger rechts überholt hatte; nach dem Unfall war das grüne Fahrzeug verschwunden. Damit konnte der Beklagte auch nicht beweisen, dass er das Fahrzeug des Klägers zuverlässig überholen durfte. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 StVOist jedes Überholen, gleichgültig aus welchem Grund, bei unklarer Verkehrslage unzulässig. Da er keinen abgeschlossenen Spurwechsel des Klägers nachweisen konnte, hat der Beklagte gegen diese Vorschrift verstoßen, weshalb ihm ein Verursachungs- und Verschuldensbeitrag von 40 % auferlegt wurde.

Im Ergebnis zeigt sich, dass der Fahrzeugführer stets mit dem verkehrswidrigen Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer rechnen muss und äußerste Sorgfalt zu wahren hat. Den Nachweis zu erbringen, dass diese Sorgfalt tatsächlich gewahrt wurde, ist von entscheidender Bedeutung für die Haftungsquote.

Wir unterstützen Sie gern bei der Lösungsfindung. Ihre Ansprechpartnerin im Verkehrsrecht ist Rechtsanwältin Patricia Helm

LG Leipzig, Urteil vom 10.01.2019, Az. 4 O 2474/17; hierzu auch NJW-Spezial 2019, 522 f.